Wolfgang Hildesheimer
Wolfgang Hildesheimer
9. Dezember 1916 in Hamburg  
21. August 1991 in Poschiavo
(Graubünden /Schweiz)
  

Romane:
Tynset (1965) 
Marbot (1981) 
Mozart (1963)
 


Als Kind besuchte der Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer die Odenwaldschule, nach der Emigration seiner Eltern nach England, ging er von 1933 - 36 nach Palästina, und lernte dort Möbeltischlerei und Innenarchitektur. Von 1937 - 39 studierte er Malerei und Grafik in London und 1940 ging er als Informationsoffizier der britischen Armee noch einmal nach Palästina.
1945 ging er nach Nürnberg, um bei den Prozessen zu dolmetschen, nebenbei arbeitete er als Bildhauer und Maler.
Er lebte dann in Ambach am Starnberger See, konzentrierte seine künstlerische Tätigkeiten auf die Literatur und übersiedelte 1957 nach Poschiavo in Graubünden in der Schweiz.
Hildesheimer war Mitglied der "Gruppe 47" und erhielt zahlreiche Literaturpreise nach 1945, so z.B. den Preis der Kriegsblinden, den Büchner-Preis und den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Stilistisch ist Wolfgang Hildesheimer am ehesten in der absurden Literatur einzuordnen, frühe Arbeiten sind z.B. die "Lieblosen Legenden" und viele Hörspiele und Theaterstücke.
Besonders lesenswert auch heute noch sind das stark monologisierende "Tynset", sein Buch über "Mozart", die kleine Geburtstagsschrift für Max Frisch "Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge und Anderes" und "Marbot".
Gerade mit "Marbot" war Hildesheimer eine Groteske im Literaturbetrieb gelungen: die fiktive Biografie des Goethe-Zeitgenossen Andrew Marbot, schilderte Hildesheimer so detailliert und blitzgescheit, daß Literaturkritik und Literaturwissenschaft fieberhaft anfingen nach Quellen und Nachweisen für dessen Existenz zu suchen.

Anfang der Achtziger Jahre, beendete er seine Arbeit als Schriftsteller und widmete sich ausschließlich der Malerei.
Hildesheimer engagierte sich bei "Greenpeace" und zog sich immer mehr zurück. Über sein Schweigen als Schriftsteller, sagte er in dem sehr lesenwerten Buch aus der Reihe 'Zeugen des Jahrhunderts' "Ich werde nun schweigen" (Lamuv-Verlag):
"Es gibt keine Geschichten mehr zu erzählen. Es hat mir die Sprache verschlagen. Ich müßte wieder in die Vergangenheit tauchen, und da habe ich keine Figur, die mich heute noch so fasziniert oder über die ich in die Lage bin zu schreiben; und über die Gegenwart zu schreiben, wäre mir völlig unmöglich, denn die Gegenwart, die wir erleben, ist ja nicht die wirkliche Gegenwart. Wenn sie einen Gentechniker oder Astrophysiker fragen, wie seine Gegenwart aussieht, ist das eine ganz andere als die, über die wir schreiben. Wir schreiben über die Liebe, und in Wirklichkeit geht die Welt unter, verändert sich so, entwickelt sich alles zum Verhängnis, zum Verderben."
Da Künstler oft auch Lebenskünstler sind, hier ganz praktische Dinge:
"..alle echte Gourmandise hat ja etwas Barbarisches. So weit sind wir von Dschingis-Khan noch nicht entfernt, dessen Leute das Fleisch im Sattel weichritten und das Blut an den Beinen abtropfen ließen.
Harmloser also und weniger blutrünstig! Schweige ich von den amerikanischen Salaten aus Käse und Ananas - so etwas kann nicht ernst gemeint sein, aber gastronomische Späße schmecken nun einmal nicht. ..(..)..Seriöseres und dennoch Ungereimtes: wer hat das vitello tonnato erfunden, wer war der erste, der über Scheiben von Kalbfleisch jene breiige Soße goß, die zum großen Teil aus zerstampftem Thunfisch besteht..(..)..Weiter: wer war es - es kann ja noch nicht lange her sein -, der die Avocado zu mißhandeln begann ? Der befand, eine Vinaigrette reiche nicht aus, um ein feines Aroma zuzudecken, der eigenartige Nuß-Geschmack müsse endgültig abgetötet werden. So füllte er denn das konkave Rund des entfernten Kerns mit Crevetten und Mayonnaise, und so erhalten wir es in mehr oder minder möndänen Restaurants serviert, als ob es ganz natürlich sei."

..und noch etwas versöhnliches, ein sehr zu empfehlendes Hildesheimersches Rezept:
"Eine Käsepraline, die man gleich in großer Quantität zubereiten sollte, da sie sich wochenlang hält: man serviere sie nach jeder Mahlzeit im Tontopf:
400 Gramm echten Roquefort mit 400 Gramm Butter, zwei Gläschen französischer Cognac, einem gestrichenen Teelöffel Kümmel, einer Prise Paprika gut, am besten im Mixer, also für den alsbaldigen Verbrauch, kann man feingeschnittenen Schnittlauch darantun. Manche nehmen Rahmkäse statt Butter und Calvados anstatt Cognac, ich selbst halte meine Mischung für die beste."
aus:
Wolfgang Hildesheimer: Gesammelte Werke, Band VII "Gemischte Schriften", Frankfurt am Main 1991