Die Dinge des Lebens
 
 
Über die Filme von Claude Sautet
 
 
Der Schauspieler Pierre Arditi lieferte in Claude Lelouchs wunderbarer Komödie Männer und Frauen - eine Gebrauchsanweisung eine treffende Definition der Unterschiede zwischen amerikanischem und französischem Film: "der amerikanische Film erzählt eine kleine Geschichte mit riesigen Mitteln, der französische Film erzählt eine riesige Geschichte mit kleinen Mitteln".

Claude Sautet Als Claude Sautet am 22. Juli 2000 in Paris starb, geschah das, was in Frankreich immer geschieht, wenn einer dieser Künstler mit den großen Geschichten für immer die Menschen in diesem Land verlässt. Das Hektagon trägt Trauer, weil die Franzosen ihre Künstler lieben, mit einer Inbrunst und einer Zärtlichkeit, die für Deutsche schlicht nicht vorstellbar ist.

So auch Claude Sautet - er wird für immer in Erinnerung bleiben, als großer Regisseur der ehrlichsten und ergreifendsten Melodramen, die das Kino in Frankreich nach 1945 zustande gebracht hat. Seine Filme sind beeindruckend in ihrer Aufrichtigkeit und gleichwohl melancholisch und romantisch, ohne jemals in Kitsch zu verfallen.

Das Kino des Claude Sautet ist ein klassisches Kino der Leidenschaft, und mit seinem fehlenden akademischen Dünkel und seiner Geradlinigkeit schon fast ein Gegenentwurf zur Nouvelle Vague. Und doch ist Sautet, wie auch Melville, ein Beispiel für ein Autorenkino, jenes ‚auteur complet', der für die Nouvelle vague eigentlich mal ein Vorbild gewesen war.

1924 in Montrouge bei Paris geboren, studierte Sautet an der renomierten IDHEC und war Regieassistent bei Georges Franju und Jacques Becker. Neben seiner Arbeit als Regisseur, schrieb Sautet auch immer Drehbücher für Andere und galt als Drehbuchdoktor, der immer dann helfend eingriff, wenn sich die Story mal irgendwo hoffnungslos verhakt hatte.

 
 Die Anfänge


Nach einem leicht verunglückten Regiedebüt, auf welches Sautet auch nur sehr ungern angesprochen wurde, drehte er zunächst einen Thriller. Der Panther wird gehetzt (Classes tous risques, 1959) erzählt die Geschichte eines Gangsters als Familienvater, der verzweifelt versucht, ein neues Leben zu beginnen. Lino Ventura und ‚Bebel' Belmondo in den Hauptrollen brillieren in diesem Film, der aber an der Box Office ein Flop wurde. Damit reiht sich dieser Film nahtlos in die Reihe der vielen kleinen und großen verkannten Meisterwerke ein, mit welchen es jenes Schicksal teilt. Sautet gelang ein Thriller, der in seinem ruhigen und menschlichen Erzählstil in der Tat an Jacques Beckers große Filme erinnert und neben den neuen Aspekten eines Gangsters als Familienvater, spielt Sautet virtuos und zudem überzeugend mit dem unendlichen Motivkanon der Gangsterfreundschaft.

Nachdem auch ein weiterer Film, halb Thriller halb Abenteuerfilm Schieß, wenn Du kannst (L'arme a gauche, 1964), ebenfalls mit Lino Ventura, erfolglos blieb, schrieb Sautet einige Jahre lang nur noch Drehbücher, bis er 1969 mit Die Dinge des Lebens (Les choses de la vie, 1969) in die Kinos zurückkehrte.

Filmplakat von 'Die Dinge des Lebens' Dieser Film wurde sein definitiver Durchbruch zu einem der erfolgreichsten Regisseure des Landes. Michel Piccoli als Architekt Pierre, und Romy Schneider als seine Geliebte Helene, werden in wenigen Wochen das Traumpaar des französischen Films der späten sechziger Jahre. Nach einem schweren Autounfall, liegt Pierre im Sterben und sieht sein Leben noch einmal an sich vorbeiziehen. Kurz vor dem Unfall schrieb er einen Brief an Helene, in welchem er ihre Beziehung beendete. Seine letzten wachen Gedanken kreisen um diesen Brief, den er noch vernichten will.

Neben der ungeheuer dichten Erzählweise Sautets, überzeugen in diesem Film vor allem die schauspielerischen Leistungen von Romy Schneider und Michel Piccoli. Auch in einigen anderen Punkten, ist dieser Film bemerkenswert:

Zum Einen begann eine jahrelange fruchtbare Kooperation mit dem Komponisten Philippe Sarde, der mit der Filmmusik zu Die Dinge des Lebens vielleicht eine der schönsten Filmmusiken des französischen Films schrieb und der fortan für sämtliche Filme Claude Sautets bis zu seinem letzten Film Nelly und Monsieur Arnaud 1995 die Musik komponierte.

Sarde war zwanzig, als er den damals mehr als 25 Jahre älteren Sautet kennen lernte. Sautet setzte sich gegen seine Produzenten durch, und bestand auf Sarde als Komponist für seinen Film. Mit Erfolg: die wunderschöne Musik zu "Les choses de la vie" war auch als Plattenverkauf erfolgreich und präsentierte seit langem mal wieder eine singende Romy Schneider.

Sautet und Sarde verband mehr noch als die Liebe zum Film die Liebe zur Musik. Beide mochten Jazz, vor allem von Theolonius Monk und spielten auch regelmäßig zusammen. Sarde beschrieb, wie Sautet oft stundenlang zuhause in seiner Pariser Wohnung in der Avenue des Gobelins Musik von Bach hörte und an seinen Drehbüchern arbeitete.

Zum Anderen begann eine lange bahnbrechende Zusammenarbeit mit Romy Schneider, die Claude Sautet bald als ihren Lieblingsregisseur bezeichnete und in insgesamt fünf seiner Filme mitspielte. Einige dieser Filme, wie Eine einfache Geschichte (Une histoire simple, 1978) oder Das Mädchen und der Kommissar (Max et les ferrailleurs, 1970) wurden zu den schönsten und überzeugendsten Darstellungen, die von Romy Schneider jemals zu sehen waren.

Mehr noch, es war der Regisseur Claude Sautet, welcher der geschundenen und an ihrem Sissi-Image verzweifelnd nach Frankreich geflohenen Romy Schneider, ihre Würde als Schauspielerin zurückgab und ihr damit entscheidend half, ihre Karriere als Schauspielerin erfolgreich und auf neuen Wegen fortzusetzen.

Sautet wurde aus bestimmten Kreisen immer wieder eine Weichzeichnerei vorgeworfen, er mache seichte Filme. Abgesehen von der Anmaßung, sich selbst berufen zu fühlen, die Arbeit eines anderes Künstlers in einer solchen Form abzuqualifizieren, befremdet an diesem Gedanken vor allem, von wie wenig Kenntnis der Grundregeln von Trivialkunst diese Kritik getrübt ist: es gibt in der Trivialkunst keine Probleme, keine Korruption, keine Gewalt, keine Prostitution, keine Arbeitslosigkeit und schon gar keine psychischen Probleme.

Vielleicht könnte man die Ansichten dieser selbsternannten Tempelwächter des "intellektuellen Kinos" ja ernster nehmen, wäre einer von ihnen mal in der Lage zu erklären, warum Jean-Luc Godard es - im Gegensatz zu Claude Sautet - in keinem seiner Filme geschafft hat, eine Geschichte mal zu Ende zu erzählen.

 
 Die großen Melodramen der Siebziger Jahre


Nach dem großen Erfolg von Die Dinge des Lebens, schuf Sautet in den Siebziger Jahren einen beachtlichen Teil jener Filme, die ihn berühmt machen sollten. Neben den bereits erwähnten Der Mädchen und der Kommissar und Eine einfache Geschichte, sind das vor allem auch Cesar und Rosalie, sowie - weniger bekannt und doch nicht weniger gelungen, der leider kaum noch zu sehende Vincent, Francois, Paul und die anderen und sein vielleicht schönster Film aus dieser Periode: Mado.

Der Thriller Das Mädchen und der Kommissar (Max et les ferrailleurs, 1970) besticht weniger in seiner Gänze als Inszenierung, vielmehr gerät das Aufeinandertreffen von Michel Piccoli als Kommissar Max und Romy Schneider als Prostituierte Lili, zu einem abgründigen menschlichen Showdown, der unter die Haut geht und bis heute wenig von seiner Intensität verloren hat.

Max als soziophober Neurotiker, der Lilis Gefühle nicht nur ignoriert, sondern bewusst verletzt und als Mensch schwerste seelische Verletzungen zufügt, ohne die geringste Gefühlsanwandlung zu zeigen, das ist bis heute beeindruckend. Letztlich gelingt es ihm, seine fixe Idee, von der Verhaftung auf frischer Tat mit der semiprofessionellen Räuberbande aus Lilis Umfeld zu realisieren, wenngleich dieser Nebenstrang alles andere als überzeugend wirkt.

Ab 1970 drehte Claude Sautet bis 1980 alle zwei Jahre einen neuen Film. Im Jahr 1972 folgte seine erste Zusammenarbeit mit Yves Montand, der die Rolle des Cesar in Cesar und Rosalie (Cesar et Rosalie, 1972) spielte - und damit nach seinem Mitwirken in Alain Resnais' Der Krieg ist vorbei erneut eine Hauptrolle spielte, dessen Umsetzung zu einer ungeheuerlichen Manifestation seiner Schauspielkunst wurde.

Filmplakat von 'Cesar und Rosalie' Romy Schneider als Rosalie ist gefangen zwischen einem aufbrausenden Rauhbein mit Herz, dem Schrotthändler Cesar einerseits und dem ruhigen Illustrator und Comiczeichner David (Sami Frey) andererseits. Mehr oder weniger beiläufig gerät Cesar und Rosalie dabei zur Amor fou, die alle drei schließlich entfremdet, bis Cesar und David, von Rosalie verlassen, endlich Freunde werden. Fast unbemerkt spielt die junge pubertierende Isabelle Huppert in Cesar und Rosalie eine kleine Nebenrolle, die man meist erst beim zweiten oder dritten Sichten des Films erkennt, weil man sich nach Lesen ihres Namens im Vorspann fragt, wer sie eigentlich sein könnte.

Cesar und Rosalie vereint viele konstant genutzte Versatzstücke Sautetscher Dramaturgie: da sind zum Einen die Bistroszenen, die fröhlichen Landpartien und Festivitäten. Immer wieder, so sagte Sautet in einem Gespräch einmal, nehme er sich vor, in seinem nächsten Film mal nicht in einem Cafe oder einem Bistro zu drehen. Und er tat es doch immer wieder, denn der Mikrokosmos Cafe bringt wie ein Brennglas die kleinen und großen Tragödien und Komödien des Alltags zum Vorschein.

Und da wäre auch das Berufsfeld der technischen Berufe, das Sautet in seinen Filmen immer wieder nutzt: seien es Baustellen und Bauplanung (Die Dinge des Lebens, Mado, Der ungeratene Sohn), Architektur und Planung (Die Dinge des Lebens, Eine einfache Geschichte, Kollege kommt gleich) oder Schrotthandel (Cesar und Rosalie, Der Kommissar und das Mädchen).

Denn Sautets Geschichten waren niemals "verfilmte Fotoromane", wie Alice Schwarzer in ihrem fürchterlichen Buch über Romy Schneider in zeitgenössischer und ideologischer Simplifizierung, behauptete, ohne den Beweis dafür zu führen. Vielmehr erkennen und schildern sie schon sehr früh gesellschaftliche Verwerfungsprozesse und die Folgen für den Einzelnen, wie Arbeitsplatzabbau und Arbeitslosigkeit (Eine einfache Geschichte), Drogenmissbrauch (Der ungeratene Sohn) oder Korruption (Mado).

Am dichtesten in Ausdruck, Aussage und Inszenierung der Filme der Siebziger Jahre gerieten Mado und Eine einfache Geschichte. Beide Filme erzählen die Geschichten von nach Selbstbestimmung strebenden Frauen, die beim Versuch ihr Glück zu finden gar nicht anders können, als bürgerliche Gesellschaftsregeln zu missachten.
Mado (Mado, 1976), sensationell gespielt von der leider kaum bekannten Ottavia Piccolo, ist eine messerscharfe Analytikerin ihrer Mitmenschen, die mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hält.
Um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, schläft sie mit Männern, die sie mag, und schert sich kein bißchen um das, was ihre Umwelt darüber denkt. Stilles, ja zärtliches Vertrauen ohne sexuelle Beziehung, empfindet sie für einen, vom jungen Jacques Dutronc eindringlich gespielten, Freund. Doch der Mann, den sie liebt, der zwielichtige Maneka (Charles Denner), wird eines Nachts von Gangstern ermordet, kurz bevor sie mit ihm ein neues Leben beginnen kann.

Und das alles in jener Nacht, in welcher Mados Freunde den Coup ihres Lebens machen, um anschließend in einer der schönsten Szenen die Sautet jemals drehte, aufs Land zu fahren und ihr von Gaunern ergaunertes Land zu besichtigen. Um zu feiern, stolpern sie in eine Hochzeitsfeier auf dem Dorf, und verfahren sich später beim Rückweg nach Paris im strömenden Regen gründlich und finden sich im Schlamm eines Flussufers im Morgennebel wieder.

Eine einfache Geschichte (Une histoire simple, 1978) ist die Geschichte einer jungen Frau (Romy Schneider), die als Bauzeichnerin arbeitet, und ihren Freund (Claude Brasseur) nicht mehr liebt und ihren Ex-Mann (Bruno Cremer) trotz einer erneuten Annäherung auch nicht mehr. Dazwischen liegen viele kleine genauso einfache wie tragische und manchmal auch schöne Geschichten, von Freunden, die ihre Arbeit verlieren, depressiv erkrankt sind oder um ihren kleinen Traum vom Leben kämpfen.

Selten sah man Romy Schneider so abgeklärt, ruhig, scheinbar selbstsicher und scheinbar glücklich, wie in diesem Film. Die Intensität des Schneiderschen Spiels lebte auch aus dem Bezug zu Romy Schneiders eigenem Leben des Jahres 1977. Ihre Ehe mit Harry Meyen war nicht nur gescheitert, Meyen hatte sich das Leben genommen. Es war eine suchende Romy Schneider in diesen Jahren, ebenso wie die Hauptfigur des Films. Suchend und vor allem zweifelnd am Weg ihres Lebens, und mit Zweifeln am Sinn ihn so, wie bisher weiterzugehen. Mit einer Mutter, welche - wie auch bei Romy Schneider - ihre Probleme nicht versteht und Freunden, die im Strudel ihrer eigenen Schicksale zu kämpfen haben.

Überhaupt scheinen manche Rollen von Romy Schneider bei Claude Sautet ihr direkt auf den Leib geschrieben zu sein. Die kleine Nebenrolle der Helene in "Mado", die Tabletten und Alkoholabhängig als Schiffbrüchige im Trümmermeer ihrer Existenz umherirrt, war für Schneider vielleicht ein kleines Fenster in die Welt hinaus, um ein wenig ihrer eignen Tragödie im Schutz der Leinwand zu zeigen.

Es wurde die letzte Zusammenarbeit mit Claude Sautet, aber ein bisschen mag man sich nach diesem Film auch fragen, was da noch hätte kommen sollen. Denn es erscheint schon so, als hätten Romy Schneider und Claude Sautet mit Eine einfache Geschichte in ihrer Zusammenarbeit ein Lands End in puncto Schauspielkunst und Dramaturgie erreicht, von welchem aus ein jeder einen anderen Weg zurück gehen mag.

Als 1980 Sautets Film Der ungeratene Sohn (Un mauvais fils, 1980) in die Kinos kommt, beginnt eine Phase, die von Kritikern gerne als Sautets Innerlichkeit bezeichnet wird. Patrick Dewaere spielt einen jungen ehemals drogenabhängigen Mann, der mehrere Jahre in amerikanischen Gefängnissen verbracht hat und nach Frankreich zurückkehrt. Er versucht sich in Paris ein neues Leben aufzubauen, und trotz aller Konflikte, vor allem mit seinem Vater, gelingt ihm das auch.

Sautets Ton ändert sich mit diesem Film, er wird dunkler, weniger humorvoll, ein wenig verschwindet die Nonchalance, mit welcher seine Filme in den Siebziger Jahren das Leben zu sehen schienen. Man kann mit Recht behaupten, dass Sautet mit den Jahren immer weniger lustige Filme drehte. Es scheint, als hätte dieser Weg mit Der ungeratene Sohn 1980 begonnen. Dewaere, der französische James Dean, der durch seine schlichte Präsenz auf der Leinwand seine Zuschauer bannen konnte und einer der hoffungsvollsten Talente der jüngeren französischen Schauspielergeneration jener Jahre war, wird sich nur wenige Jahre später in einem Pariser Hotelzimmer das Leben nehmen.

Der nächste Film Kollege kommt gleich (Garcon, 1983) zeigt noch einmal Yves Montand als Kellner in einem Pariser Bistro. Eine Paraderolle für diesen großen Entertainer könnte man denken, aber Montand wirkt seltsam hölzern und ungeschickt. Es passt wenig zusammen in diesem Film, die Affäre mit der wunderbaren Nicole Garcia würde man Montand zweifelsohne zutrauen, nicht aber diesem tollpatschigen Oberkellner.

 
 Die späten Filme


Bis zu seinem Tod 2000 sollte Sautet nur noch drei Filme drehen. Im Mittelpunkt dieser Zeit stehen jeweils ein Schauspieler - Daniel Auteuil und eine Schauspielerin - Emmanuelle Beart. Beide verkörpern durch ihre Art zwei ganz individuelle Seiten des Sautetschen Kosmos. Auteuil mit seiner Vorliebe für kauzige und leicht verschrobene Charaktere passt hervorragend in die Konzeption von Einige Tage mit mir (Quelques jours avec moi, 1987) und Ein Herz im Winter (Un coeur en hiver, 1992). Kein anderer zeitgenössischer französischer Schauspieler hätte diese beiden Hauptfiguren so verkörpern können, wie Daniel Auteuil.

In Einige Tage mit mir spielt er den Erben einer Kaufhauskette, der wegen psychischen Problemen in Behandlung ist und eines Tages eine Inspektionsreise in die Provinz unternimmt. Dort lernt er das Hausmädchen Francine (Sandrine Bonnaire) kennen, er mietet eine Wohnung an, und verbringt einige Tage mit ihr und ihren Freunden - bis er eines Tages einfach so verschwindet, wie er gekommen war.

Um Kammermusik und Geigenbau geht es in Ein Herz im Winter, in welchem Auteuil und Beart aufeinandertreffen. Hier spielt Auteuil einen "Herzbehinderten", der nicht in der Lage ist, Gefühle von anderen Menschen an sich heranzulassen. In seiner Brachialität, mit welcher die Gefühle der Menschen hier aufeinander prallen, ist Ein Herz im Winter fast schon ein abstrakter Film, der in jeder Hinsicht verstörend ist.
Wenig bis gar nichts ist geblieben von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins in Sautets früheren Werken. Auteuil und Beart hatten sich einige Zeit vor den Dreharbeiten als Paar getrennt und diese Stimmung hängt wie eine düstere Gewitterfront über diesem Film.

Die Besetzung der weiblichen Hauptrolle in den letzten beiden Filmen mit Emmanuelle Beart, macht sicher auch ein Stück weit dieses Empfinden aus. Ihre fast schon unheimliche Schönheit, sowie ihre Kühle und unnahbare Aura, mit welcher sie immer wieder unvorhersehbar und bestimmt ihren Weg geht, erinnern in vielen Aspekten an Sautets Zusammenarbeit mit Romy Schneider.

Filmplakat von 'Nelly und Monsieur Arnaud' In seinem letzten Film Nelly und Monsieur Arnaud (Nelly et Monsieur Arnaud, 1995) spielt Beart eine junge Frau, die sich gerade von ihrem arbeits- und hoffnungslosen Freund getrennt hat und dringend eine Arbeit sucht. Über eine Bekannte, lernt sie Monsieur Arnaud (Michel Serrault) kennen, einen pensionierten ehemaligen Richter aus den Kolonien, der ihr anbietet, ihre Schulden zu begleichen, und sie dazu bringt, ihm beim Verfassen seiner Memoiren zu helfen.

Nelly und Monsieur Arnaud, geraten aneinander und raufen sich wieder zusammen, und mit der Zeit verstehen sie sich immer besser, jedoch ihre Annäherung braucht Geduld und Zeit. Zeit, die sie eigentlich nicht mehr haben, denn Arnauds Wohnungsauflösung zeigt auf, daß sich in seinem Leben ein Wendepunkt anbahnt.

Nellys kühle und gleichsam desillusionierte Art und Arnauds Mischung aus pointierter Menschenkenntnis einerseits und distinguierter Alltagsfremdheit der weißen katholischen Oberschicht andererseits, sorgen dafür, dass ihre Kokons sich nicht öffnen. Es ist Arnaud, der Nelly durch ebenso provozierende wie intelligente Nadelstiche ihre Verschlossenheit und ihre Einsamkeit mit sich selbst vor Augen führt. Als Arnaud sich eines Tages mit seiner Exfrau auf eine Weltreise begibt, fühlt sich Nelly verlassen und versucht verstört, sich einen neuen Pfad ins Dickicht ihres Lebens zu schlagen. Zu spät bemerkt Arnaud, daß er Nelly genau in jenem Moment den Rücken gekehrt hat, in dem sie Vertrauen zu ihm gefunden hatte.

Claude Sautet sagte einmal über seine Filme:
"Wenn man schüchtern ist, wie ich es vor allem als Kind war, sucht man sich eine Gruppe zur 'Adoption'. Aber wenn man dann aufgenommen ist, widerstreben einem auch schon ihre Grenzen. Man versucht sich zu lösen - und eine neue Gruppe zu bilden. Die Gruppe empfinde ich als Motor für das Verhalten meiner Figuren. Ihre Einsamkeit wird kontrastiert mit der Wärme, - einer oft oberflächlichen - des Kollektivs und der öffentlichen Orte."

Mag sein, daß Sautets Menschen in den Bistros einsam wirken und sich auch so fühlen. Aber sie gehen in die Bistros, um eine Weile nicht mehr einsam zu sein und andere Menschen zu treffen. Und Sautet war der stille und aufmerksame Beobachter ihre vielen kleinen Versuche, Triumphe und Niederlagen - und als solcher hat er uns vielleicht ein Stück unserer Einsamkeit mit uns selbst nehmen können.
 
 

 


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