Kopf in den Wolken ?
 
 
 Ein Versuch über Blumfeld
 
 
Auch das Ungewöhnliche muß Grenzen haben.
  Franz Kafka "Blumfeld, ein älterer Junggeselle"
 
 
Deine Zeilen sind ein Hieb, wo kaufst Du Dein Papier ?
  Herwig Mitteregger "Rudi"
 

Herr Blumfeld ist ein Schreiber in einer Textilmanufaktur, der eines abends auf dem Weg nach Hause sich überlegt, daß es doch nett wäre, wenn er einen Hund hätte, der ihn abends begrüßen würde. Als er schließlich nach längerem Überlegen doch schon wieder von dieser Idee abgekommen ist, hat er den Salat: zuhause angekommen, erwarten ihn zwei Bälle, die nun fortan unablässig hinter ihm her hüpfen.
So viel mal zur Vorgeschichte.

Vielleicht ist Blumfelds Musik wirklich eine Asymptote über dem Abstellgleis der eigenen Geschichte. Charlotte Roche jedenfalls begann ihr Fast Forward Special über Blumfeld anlässlich der Veröffentlichung des "Jenseits von Jedem" Albums mit den Worten "super-intellektuelles-Wichs-Blubber-Schwafel-Gelaber". Ob es interviewenden Journalisten wohl schlaflose Nächte beschert, welche Fragen wohl dem "Pop-Titanen" Jochen Distelmeyer angemessen sein könnten ? Hoffentlich interessiert sich niemand ernsthaft für irgendeine der möglichen Antworten.

Eigenartigerweise gibt es ja diese Bands: ich meine, kein Mensch käme auf die Idee zu sagen, dass sie von den Beatles nur die ersten Platten hören würden, weil alles, was dann noch kam sowieso Scheiße gewesen wär. Für Bands wie Yo la tengo, Blumfeld oder Lambchop darf man das straflos behaupten. Distelmeyer beschrieb es 1999 in einem Gespräch mit der Zeitschrift Arranca!, diese speziell männliche Diskursprothese, dass "härter irgendwie ehrlicher" sei. Eben, und deshalb durfte "Old Nobody" auch nur ein ironisierter Witz sein, denn kein Supporter der ersten beiden Blumfeld Alben durfte d a s ernsthaft gut finden. Ein echter Blumfeld Fan als Vertreter der reinen Lehre darf auch niemals wegziehen aus dem Schanzenviertel, zu den Spießern nach Eimsbüttel, Winterhude oder Hamm.

Und mal ehrlich: das haben weder "Ich-Maschine" noch "L'etat et moi" verdient. Denn letztlich stellt sich schon die Frage, wohin die Reise noch hätte gehen sollen. Distelmeyer als Slam Poet durch die Clubs der Republik tingelnd oder vielleicht als Hip Hop Band ? Beides letztlich daneben und mal ehrlich: es ist eine Sache, Wortgebirge aufzutürmen - etwas ganz Anderes ist es eine andere Form des Ausdrucks zu suchen. "Stirb oder sei wie wir" eben, als augenzwinkernder Fußwegtreter des Gideschen "Stirb und werde", da muss jeder seine Entscheidung treffen - auch wenn schon längst für ihn entschieden wurde.
 
Als Blumfeld sich 1991 um den charismatischen Jochen Distelmeyer (Gitarre/Gesang) mit Andre Rattay (Drums) und Eike Bohlken (Bass) formierte, mochte niemand ahnen, dass hier eine Inkarnation der deutschen Popmusik geboren wurde.

Ihre ersten musikalischen Gehversuche starteten sie auf dem Hamburger ZickZack Label von Alfred Hilsberg, wo Meilensteine wie "Ghetto-Welt" oder "L'etat et moi" verlegt wurden, damit zählten sie zur Independentszene, wenn man denn schon Schubladen braucht. Zur letztgenannten Szene kann man Blumfeld inzwischen nicht mehr zählen, das sollte schon so OK gehen, für Blumfeld wahrscheinlich sowieso. Was allerdings nicht heißt, dass ihre Musik jetzt kein Hauch von Indie Charme mehr umweht, aber Geld muss sie halt verdienen, man wird ja auch nicht jünger.

Wer wünschte den "Dornenboy" schon "back to Brake Bielefeld, Haus der Geschichte" oder wo auch immer hin, wie er in der Skyeyeliner Adaption "Pro familia" auf dem 99er Album "Old Nobody" singt. Man braucht schon ein wenig mehr als nur gute Songs, um das Wurzelwerk einer "Hamburger Schule" benannten Musikentwicklung im Erdreich der deutschen Tonlandschaft zum Wachsen zu bringen. So eine gewisse Listigkeit umweht ihn ja schon, die uns da entgegenblitzt in dieser Wachheit, aus seinen scharfkantigen Augen unter seiner zeitlosen Achtzigertolle.

Klar, Distelmeyer schreibt keine Texte, um darzustellen, wie genial er doch sei. Er will Dinge im Diskurs begreifen und letztlich auch in einer Versinnbildlichung oder Vereinfachung den Versuch wagen, eine Benennbarkeit zu finden. Doch die Phrase der Genialität dürfte für eine nicht unerkleckliche Anzahl Fans aus dem Lager der vielen angeschlauten SPEX Apologeten ein hinreichender Grund sein, um sich mit Blumfeld zu schmücken (du, früher hat mir deine musik mal unheimlich viel bedeutet).
 
Tja, "es könnte viel bedeuten", aber mal ganz abgesehen davon, übersieht man dabei einfach, dass Blumfeld eben nicht nur Distelmeyer sind: schließlich hat sich die Band seit ihrem Anbeginn vom Trio über das Quartett wieder zum Trio entwickelt. Wer außer der Band selbst könnte die Beiträge von Eike Bohlken und Peter Thiessen zur Geschichte von Blumfeld besser kennen und erkennen? Dahingehend sind die Cover von "L'etat et moi" und "Jenseits von Jedem" Alben deutliche Hinweise. Oder Michael Mühlhaus, der mit seinen Keyboards stark am Klangteppich Blumfelds mitgewoben hat und inzwischen den Bass übernommen hat.

Mehr noch: diese permanente nervtötende Distelmeyerei im Feuilleton einer großdeutschen Geniehuberei negiert einfach das Grundkonstrukt Blumfeld, das letztlich immer mehr war, als nur Distelmeyer. Jedoch in Zeiten einer Medienöffentlichkeit, die Harald Schmidts Hamletversion mit Playmobilfiguren als kulturellen Meilenstein zu feiern vermag, erscheinen nun mal die Jochen Distelmeyers als Titanen. Mag ja sein, dass man das im Kontext der Bohlens und Küblböcks auch so sehen kann, aber sind sie es deshalb dann auch in der Wirklichkeit, die ja bekanntlich im Gegensatz zur Realität noch Träume, Wünsche und Hoffnungen umfasst, wie Wolfgang Hildesheimer es verstand ?

Also sollte man doch "Kommst Du mit in den Alltag" fragen, denn die Welt ist kein Bukowski Gedicht und genauso wenig ausschließlich bevölkert von den kaputten Phantasiegestalten eines T.C.Boyle oder David Lynch. Wer um alles in der Welt glaubt diesen ganzen Schmus eigentlich und stellt dann diese Kategorien als Wegmarken in die Dimensionierung seines musikalischen Kosmos - vom Alltag hoffentlich mal ganz zu schweigen.
 
 
 
Blumfeld 2004 (vlnr): Andre Rattay (drums), Jochen Distelmeyer (vocals/gitarre), Michael Mühlhaus (bass, keyboards)
 
Blumfeld sind bei aller Simplifizierung niemals in einer Seichtigkeit ihrer Textgalaxien angekommen - was leider der permanente Hauptvorwurf an sie ist. Sie verkaufen uns bis heute keine Hausnummern ohne philosophische Hinterhöfe. Es entsprach bloß noch nie unseren spezifisch deutschen Rezeptionsgewohnheiten, dass es jemand wagt uns unsere Innerlichkeit ohne lyrische Backrezepte aus bramarbasiertem Brockhausgoulasch vorzulegen. Dazu passen auch verschiedentliche Aussagen von Blumfeld, daß sie sich nicht unbedingt in erster Linie als deutschsprachige Band verstehen. Max Frisch sagte einmal, mal solle den Menschen die Wahrheit wie einen Mantel anbieten, in den sie hineinschlüpfen könnten, und sie ihnen nicht wie einen Waschlappen um die Ohren hauen.

So verstanden sind "Eintragung ins Nichts" oder "Anders als glücklich" Stücke, die spröde und beklemmend zugleich der Unendlichkeit und Transzendenz des Wahnsinns nahe kommen. Ehrlicherweise muß man schon zugeben, ob man es jetzt mag oder nicht: aber die von Distelmeyer in der "Old Nobody" Phase offen bekannte Bewunderung für die Münchner Freiheit kann man in keinem anderen Stück dermaßen eindrucksvoll nachvollziehen. Im Sinne des Novellenbegriffs ist es schon eine unerhörte Begebenheit, wie es Blumfeld gelingt mit in Independentpop eingebetteteten Schlagerharmonien, einen derart düsteren Text zu transportieren.

Und wer selbst einmal einen wirklichen, die Grundfesten der eigenen Existenz erschütternden Schicksalsschlag verarbeiten musste, der wird in den tief menschlichen einfachen Worten von "Neuer Morgen" keinerlei Kitsch mehr finden, sondern vielmehr Landmarken einer Alltagsverortung, die helfen mögen, um morgens wieder aufzustehen. So ähnlich wie der wunderbare Text aus Tomtes "Für immer die Menschen": es könnte Trost geben, den es gilt zu sehen.

Zugegeben, das Titelstück der letzten Platte "Jenseits von Jedem" dringt gefährlich in die Nähe einer sich selbst gefallenden Phrasendrechslerei, die schade ist, weil sie sich ohne benennbare Not in die Gefahr der Abnutzung begibt, im Gegensatz zu zeitlosen Reflexionen und persönlichen Wahrheiten von Songs wie "So lebe ich".
Blumfelds Humor mag ich das weniger zurechnen, der zwar schon seit der "Ich-Maschine" mit an Bord ist, meist allerdings im Tauwerk ihrer programmatischen Textkunstwerke nur schwer auszumachen ist. Selten kam er mal so plakativ daher getapert, wie beim viel zitierten "Jugend von heute" ("Also wenn du mich fragst, ich kanns dir nicht sagen, aber wenn das mal nichts mit dem System zu tun hat"). Unbegreiflich ist mir aber bis heute, wie man nach wie vor behaupten kann, daß Blumfeld ein humorfreies Popgebiet sei.
 
Im Grunde genommen lebt die Faszination einer Band wie Blumfeld auch von ihrer Ikonographie. Einige der Videos, insbesondere "Tausend Tränen tief", "Graue Wolken" und "Wellen der Liebe" schaffen das, was sie eben als Filme erreichen können - sie stehen als eigenständige Kunstwerke neben den Songs und transportieren darüber hinaus mindestens eine weitere Ebene.

Man muss kein Bewunderer von Helmut Berger sein, um mit Freude festzustellen, dass es hier nicht nur um besagtes Stück, sondern auch um die Bestbesetzung für "Old Nobody" ging. In "Graue Wolken" sehen wir den Alltag einer Schülerin, einer Idealbesetzung der romantischen Jugendliebe, aber darüber hinaus ist auch sie ein "Old Nobody", die nach der Klassenarbeit erst mal einen Moment alleine braucht, um ihr Heißgetränk zu schlürfen, bevor sie zu ihren Freunden geht.

Und "Wellen der Liebe": die Verfilmung eines anderen Lebens, die Musik als Soundtrack zum Traumbild, kaum begreiflich übrigens, dass noch kaum einer etwas über die großartigen New Order Basshooks dieses Stücks gesagt hat, wo doch Blumfeld selbst sich eher in der Linie von Bands wie New Order oder Prefab Sprout sehen. Einen Sound, den sie auch bereits beim Schluß von "Ich - wie es wirklich war", einem der besten Stücke von "L'etat et moi" getroffen haben.
 
Auch die Fotografien und Grafiken der Platten sind sprechend und symbolisch eingerammte Fahnen in der Blumfeldschen Landschaft. Ob die Elvis Adaption bei "L'etat et moi" oder die auf den Spieltheoretiker John M. Nash zurückzuführende Covergestaltung von "Testament der Angst", was übrigens dann konsequent als Motiv auch über die Singleveröffentlichungen dieser Periode weitergeführt wurde. Auch die kleinen Bildersammlungen in den Booklets von "L'etat et moi" bis "Jenseits von Jedem", Blitzlichter aus der Blende der eigenen Erinnerungen von Urlauben bis zu Filmstills von Hitchcock bis Dick und Doof, von Pasolini bis Melville.
 
Warten wir es ab, womit uns diese Gruppe noch überraschen wird. Letztendlich findet man mehr Stringenz als Brüche in der Evolutionsgeschichte von Blumfeld, auch wenn es nicht immer so nachvollziehbar erschien, wie es für Blumfeld wohl immer offensichtlich gewesen zu sein scheint. Um es mal so zu formulieren: "Mehr Prügel als Flügel" von Samuel Beckett liest sich auch anders als "Gesellschaft", also warum sollten bei der Betrachtung eines musikalischen Gesamtwerks andere Maßstäbe gelten ?

Jede Blumfeld Platte als kleiner Prozessbaustein im Blumfeldschen Gesamtwerk ist ein nach wie vor faszinierendes Werk - auch wenn "Old Nobody" als einsamer Mount Everest herauszuragen scheint.

Dann will ich es mal weiter mit Friedrich Küppersbusch halten: gut, Blumfeld, bis hierhin erstmal vielen Dank.

 
 

 


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